Trauer, Eintrag 4: Loslassen
- Heike Eichhorn

- 29. Apr. 2023
- 2 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 1. Okt.

Das Haus meiner Eltern, mein Elternhaus, ist verkauft.
Letzte Woche waren die sogenannten „Rümpelmänner“ da und haben alle Zimmer komplett leergeräumt.
Vorher habe ich noch einmal alle Schränke durchsucht, um mir wichtige Dinge mitzunehmen: Strickjacken von meiner Mutter, Fotos, Briefe, die wir uns geschrieben haben.
Heute war ich das erste Mal im Haus nach der Räumung. Ich hatte Angst davor – es fühlte sich so endgültig an, fast noch intensiver als auf der Beerdigung.
Auf dem Weg zum Haus spüre ich wieder diese unendliche Traurigkeit, den Kloß im Hals, das Gefühl, nicht atmen zu können.
Ich drehe zum letzten Mal den Schlüssel im Türschloss um und trete ein.
Eine unheimliche Stille empfängt mich. Ich suche den Lichtschalter und schalte ihn an.
Dort, wo vorher noch alle Möbel standen, Kleidungsstücke und Schuhe als Beweis, dass hier Menschen gelebt haben… alles weg.
Es hat mich überrollt, überwältigt.
Bis vor kurzem konnte ich noch auf dem Lieblingssessel sitzen oder auf der Küchenbank, wo wir gemeinsam Kaffee getrunken haben.
Ich konnte mich auf das Bett setzen und über Kissen und Bettdecke streichen. Es war irgendwie noch alles da – und doch in Wirklichkeit nichts.
Jetzt ist die einzige Sitzmöglichkeit der Boden. Ich setze mich hin und lasse jede einzelne Träne zu.
Ich gehe noch einmal bewusst durch jeden Raum.
Hier stand immer der Weihnachtsbaum, dort war mein Zimmer.
Die Badewanne steht still und unbeteiligt in der Ecke. Ich habe dort so gerne gebadet.
Diese kleine Schramme im Holzboden – von einer Glasschüssel, die mir einmal aus Versehen runtergefallen ist.
Ich erinnere mich an so vieles und lache und weine teilweise zugleich.
Ich verabschiede mich innerlich von jedem Zimmer, verlasse das Haus, trete ein letztes Mal durch die Haustür und lege die Schlüssel in den Briefkasten.
Mittlerweile ist es dunkel. Ich setze mich ins Auto und atme tief durch. Das Wetter könnte nicht passender sein: strömender Regen, fast stürmisch, leere Straßen, ein dunkles, lebloses Haus.
Ich lehne meinen Kopf zurück, schließe die Augen und höre den prasselnden Regen auf dem Autodach.
Ich nehme Abschied. Was bleibt, sind Erinnerungen. Wie auch dieser Moment, der selbst eine Erinnerung sein wird.
Das Leben besteht aus Erinnerungen. Wir lernen aus Erinnerungen.
Was bleibt, ist Liebe. ❤️




Danke, Heike, für deine Gedanken, die du mit uns teilst.
Ich kann jeden Moment mitfühlen.
Es tut gut, das zu teilen.
Viel zu oft schweigen wir die Momente tot, die uns am meisten berühren.