Ich habe keinen Altar. Ich habe einen Nachttisch, auf dem eine Kerze brennt. Mit frommer Unerbittlichkeit jagt sie das Dunkel von meinen Kissen, und erinnert mich daran, dass das Herz des Menschen dunkle Ränder tragen darf, das Gold der Flamme darin aber gehütet werden muss.
Ich habe keine Gottesbildnisse. An meiner Wand hängen Rahmen wie kleine Fenster zu Menschen, deren Gesichter ich altern sah. Deren Gesichter ich liebte und verabscheute, küsste und betrachtete, deren Münder schmaler wurden unter den Sorgen der Jahre, und deren Augen wissender unter der Bürde des Verlustes. Aus jedem dieser Gesichter grüßt mich ein Gott ohne Gesicht, ein Gott ohne Blick, ein Gott den wir vergeblich suchen wenn nicht in der dünner werdenden Haut des Menschen, in der Rauhheit seiner wund gewordenen Worte.
Ich habe keine Opfergaben. Ich habe die Krankheit, die mir den Nachtschlaf raubt, die mich zwingt, mir das Leben in geizigen Dosen zu verabreichen, die mich ungeniessbar macht für meine Freunde und untauglich für ein Arbeiten, das an meinen Kräften zehrt als hinge irgendetwas davon ab. Manchmal schenke ich diese Krankheit meinem Gott. Manchmal werfe ich sie ihm vor die Füße und sage: ein recht grosser Schenker bist Du, von nutzlosem Leid, von Dingen, die niemand will, auch ich, auch ich will nicht.
Ich habe keine Blumengestecke. Manchmal habe ich ein Gebet, das duftet wie Rosen nach einem kurzen Sommerschauer. Es heisst "Danke". Ich weiss nicht, ob es Gott etwas bedeutet, aber mich macht es weich, und ich weiss dass es Not tut. Dass unsere Gedanken rissig werden wie Lehm, wenn nicht dann und wann ein Tropfen des Dankes sie erweicht.
Ich habe keinen Glauben. Ich habe eine Gewissheit, dass Gott das Zittern meiner Hände ist, wenn ich etwas Neues beginne. Dass er das Lachen meiner Eltern war, als sie erfuhren, dass sie ein Kind bekommen. Dass er das Rotkehlchen ist, in dessen Gesang wir für eine Sekunde alles vergessen, was sticht. Dass er die Erinnerung ist an den Kuss dieses einen Menschen, der mich aufrichtete zu einer neuen Gestalt.
Ich habe viel Sehnsucht nach Gott. Aber oft ist meine Sehnsucht wie eine schlafende Katze, wohlig schnurrend in den warmen Kissen meines Alltags: weil ich weiss, dass Er da ist. Weil ich weiss, dass Du da bist. Weil ich in Dir gehe und falle und schlafe und wache und manchmal gar nicht weiss, wohin mit diesem Glück, dass Leben so ist wie es ist. Wohin mit diesen leeren Händen, die nichts halten können, weil Du ein Werdender bist. Also lege ich sie auf mein Herz und sage, nicht wie eine Betende, wohl eher wie eine die ungeschickt in die Liebe gefallen ist und nicht aufhören kann zu fallen: Du bist ja hier.